Rohitashwa Pant, Chief Digital Officer bei ANDRITZ Schuler, hält Investitionen in die Digitalisierung gerade in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld für angebracht
In jüngster Zeit ist es etwas ruhig geworden um die Digitalisierung. In Deutschland machte der Begriff zuletzt Schlagzeilen, weil die neue Bundesregierung ein eigenes Ministerium dafür schuf; davor war noch das Verkehrsministerium dafür zuständig (warum auch immer). Jetzt könnte man trefflich über Faxgeräte spotten, die in vielen Verwaltungen nach wie vor zur Grundausstattung gehören. Doch wie sieht es eigentlich im Maschinenbau aus?
Bis zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts war von Digitalisierung in der Form, wie wir sie heute verstehen, so gut wie keine Rede in der Branche. Wer einem altgedienten Ingenieur aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung den Begriff „Digitaler Zwilling“ an den Kopf warf, erntete nicht selten ein verständnisloses Stirnrunzeln. Später hieß es, Industrie 4.0 sei nichts Neues und existierte als cyber-physische Systeme schon seit vielen Jahren.
Erste Industrie-4.0-Anwendungen existieren heute kaum noch
Das stimmt, und dennoch trauten sich erst nach und nach die ersten Maschinenbauer aus der Deckung, um auch greifbare Lösungen für ihre Kunden zu präsentieren – auch wenn diese Anwendungen sich oftmals noch darauf beschränkten, Prozesse zu überwachen und Daten aufzubereiten; ganze Mutige entwickelten auch schon Apps für das Smartphone. Kaum etwas davon existiert heute noch, und zu Recht.
Die anfänglich verbreitete Skepsis war nämlich schnell einer Industrie-4.0-Euphorie gewichen, die der Qualität der Produkte nicht zuträglich war und den Begriff zu einem Schlagwort verkommen ließ, das schnell keiner mehr hören konnte. Die Erwartungen schossen in den Himmel, doch bald stellte sich heraus, dass die Kunden ihre Maschinendaten gar nicht herausgeben wollten – zumindest nicht unter den damaligen Sicherheitsbedingungen.
Kulturwandel innerhalb der Unternehmen
Und wenig später war auch klar, dass die Lösungen auch systemübergreifend funktionieren mussten, weil zum Beispiel ein Automobilzulieferer in der Regel eben nicht nur Anlagen eines Herstellers betreibt. Es dauerte zugegebenermaßen eine Weile, bis sich diese Erkenntnis auch im Maschinenbau durchsetzte und sich die Unternehmen endlich zu den dringend benötigten Kooperationen und offenen Schnittstellen durchringen konnten.
Den gleichzeitig galt es noch eine andere, mindestens so große Herausforderung zu bewältigen: den internen Kulturwandel, den die Digitalisierung notwendig machte. Zwischen den alten Maschinenbauern und den jungen Software-Entwicklern, die nun massenweise hereinströmten, prallten Welten aufeinander. Die Arbeitsweisen konnten unterschiedlicher nicht sein.
Auf dem Pfad der Erleuchtung?
Auf der einen Seite der gewissenhafte Konstrukteur, der technische Innovationen erst dann öffentlich macht, wenn sie 100-prozentig ausgereift sind und sich im besten Fall schon im Praxisbetrieb bewährt haben; auf der anderen Seite der experimentierfreudige Programmierer, der auch mal eine halbfertige App auf den Markt wirft – so zumindest das Vorurteil…
Und wo stehen wir heute? Zieht man den Hype-Zyklus zu Rate, so haben wir sowohl den Gipfel der überzogenen Erwartungen überschritten als auch das Tal der Enttäuschung hinter uns gelassen und dürften uns demzufolge auf dem Pfad der Erleuchtung befinden, vereinzelt auch auf dem Plateau der Produktivität – in der Umformtechnik sogar mit Sicherheit.
Maschinen müssen laufen
Im Presswerk, wo wir uns besonders zu Hause fühlen, geht es wie in jedem anderen Maschinenpark auch darum, die Verfügbarkeit möglichst hochzuhalten: Die Anlagen müssen laufen, damit sie sich bezahlt machen und die Kunden unserer Kunden rechtzeitig die Teile in der vereinbarten Qualität erhalten. Jede Minute ungeplanten Stillstands kostet bares Geld.
Kommt es beispielsweise zu einem Bruch des Werkzeugs, das den Teilen ihre Form gibt, geht es deshalb weniger um den entstandenen materiellen Schaden (auch wenn der leicht in den sechsstelligen Euro-Bereich gehen kann) als um den wochen- bis monatelangen Zeitverzug bis zur Wiederaufnahme der Produktion durch die langwierige Reparatur.
Wenn der Handschuh in der Presse liegen bleibt
Was liegt also näher, als das Werkzeug kontinuierlich mit einer Kamera überwachen zu lassen und dadurch jede kleinste Abweichung vom Soll-Zustand automatisch zu erkennen, die zu einem Schaden führen könnte – wie zum Beispiel ein Handschuh, den ein Bediener versehentlich darin liegen gelassen hat?
Und wie wäre es, wenn das Werkzeug mit Hilfe einer Umformsimulation gleich so konstruiert wird, dass es nicht nur länger hält, sondern auch mehr Teile pro Minute fertigen kann? Oder wenn gleich die komplette Pressenlinie virtuell in Betrieb genommen wird, so dass die Produktion mehrere Monate früher starten kann?
Nachrüstbare Lösungen erhöhen Energieeffizienz
All das ist bereits Praxis in Presswerken auf der ganzen Welt. Aber es gibt auch Anlagen für die Umformtechnik, die schon seit mehreren Jahrzehnten mehr oder wenig unverändert ihren Dienst verrichten. Hier besteht ein riesiges Potential, durch nachrüstbare digitale Lösungen nicht nur eine Produktivitätssteigerung zu erzielen, sondern auch eine Verbesserung der Energieeffizienz.
Der erste Schritt besteht auch hier zunächst in einer Erfassung und Überwachung der einzelnen Verbraucher, auf dessen Grundlage sich dann zahlreiche Maßnahmen zur Optimierung ableiten lassen können. Die erste besteht vielerorts in der Einführung eines Standby-Betriebs, der immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, in nicht-produktiven Phasen.
Bereit, wenn die Konjunktur wieder anspringt
Gerade wirtschaftlich anspruchsvolle Zeiten sind ideal dafür geeignet, eine Investition in eine entsprechende Modernisierung des Maschinenparks ins Auge zu fassen – zum einen, weil viele Anlagen mangels Aufträge derzeit sowieso stehen, und zum anderen, weil die Konjunktur irgendwann wieder anspringt und ein ungeplanter Stillstand dann zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kommen würde.
Die Voraussetzung dafür ist natürlich die Unterstützung auf Ebene der Geschäftsführung. Die Bereitschaft zur Digitalisierung einschließlich der dafür nötigen Budgetierung sollte vorhanden sein, endlosen Grundsatzdiskussionen sollte man tunlichst aus dem Weg gehen – sie führen zu nichts. Genauso wichtig ist die Erkenntnis, nicht alles selbst entwickeln zu müssen, sondern auf Partnerschaften zu setzen.
Die gute Nachricht ist: Den einen richtigen Zeitpunkt für den Einstieg in die Digitalisierung gibt es nicht – alles ist so stark im Fluss, dass selbst ein größerer Vorsprung durch Wettbewerber in kürzester Zeit wieder eingeholt sein kann. Im Gegenzug bedeutet das aber, dass man sich auf einer Spitzenposition nicht ausruhen darf und immer am Ball bleiben muss.
Selbstverordnete Startup-Mentalität zum Scheitern verurteilt
Wenn sich altehrwürdige Maschinenbauer deshalb eine Startup-Mentalität verordnen, klingt das erst einmal sehr gut. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich das eine mit dem anderen kaum vereinen lässt. Das allein ist noch kein Hinderungsgrund, man muss sich nur darüber im Klaren sein. Die Hauptsache ist, neue Fähigkeiten aufzubauen, auf welchem Weg auch immer. Was die Unternehmen früher erfolgreich gemacht hat, zählt heute schlicht und ergreifend nicht mehr.
Wenn es also derzeit ruhig geworden ist um die Digitalisierung, dann hoffentlich nur deshalb, weil derzeit hinter den Kulissen mit Hochdruck an deren Umsetzung gearbeitet wird – zumindest im Maschinenbau.
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- Interview Kolumne
„Die Zeit ist jetzt“
Veröffentlicht am 15/09/25